
Andacht für den Gemeindebrief der Ev.-ref. Gemeinde Emden, Sommer 2022:
„Jubeln sollen die Bäume des Waldes vor dem Herrn, denn er kommt, um die Erde zu richten.“ 1. Chronik 16,33
Gedanken zum Monatsspruch August 2022 von Bert Gedenk
Liebe Gemeinde,
Sommerzeit – Jubelzeit! Die Natur in voller Pracht, ja Freude! Der grüne Wald ein einziges Gotteslob! Jubelzeit auch für uns Menschen? Wie schön wäre das! Zu singen: „Geh aus mein Herz und suche Freud!“ – Doch im Harz singt der verdorrte Wald sein Totenlied. Klimawandel. Herrenmensch lässt grüßen! In der Ukraine tötet ein verbrecherischer Kriegs-Herr ungezählte Menschen, verkohlte Städte und Natur. Was kann sich aus der Gewalt und Gegengewalt noch alles zusammenbrauen in diesem Sommer? Krisenstimmung überall. Sommerjubel will so kaum aufkommen.
Ich lese den Vers der Chronik erneut. Nicht der Sommer ist Grund zum Jubel, sondern Gottes Gericht über seine Erde! Endlich spricht mal Einer Recht! Sagt, was hilft und wo es lang geht! Klares Gottesrecht statt unserem Meinungs- und Paragraphennebel. Aber kein Strafgericht! Wenn Gott Gericht hält, richtet er nicht(s) zugrunde, er richtet vor allem auf! Bringt Menschen und Schöpfung wieder zurecht, versöhnt Gewaltopfer und Gewalttäter. Wann kommt Dein Gericht endlich, Gott?! Uns regieren so viele Lügen!
In Moskau lehrt der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, Putins Angriffskrieg gegen den „dekadenten Westen“, wo homosexuelle Paare gesegnet werden, sei „gerecht“. Wie Putin, bezeichnet auch er den Krieg vor den russischen Soldaten als gottwohlgefälliges „Liebesopfer für seine Freude“ (vgl. Joh 15,13).
Zeitgleich predigt der Primas der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, dass Töten zur Verteidigung „keine Sünde“ und von der Kirche „abgesegnet“ sei. Es brauche da auch „keine Beichte“, glaubt ein anderer ukrainischer Geistlicher zu wissen. Töten als „gute Tat“?
Ja, das Völkerrecht erlaubt der Ukraine, sich gewaltsam zu verteidigen. Aber auch das unverzichtbare Völkerrecht ist noch lange kein Gottesrecht! Ich fürchte, beide Kirchenlager werden vor Gottes Gericht nicht bestehen.
Denn der gekreuzigte und auferstandene HERR der Kirche ist allein das Gericht Gottes über seine Erde! Dieser Richter lehrte und lebte: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen.“ (Mt 26,52) Das sagt Jesus nicht zu einem gewalterprobten römischen Besatzungssoldaten, sondern zu einem Freund, der ihn bei seiner Verhaftung vor den Römern mit Gewalt retten will! Ähnliche „Rettung“ versucht man z.Zt. in der Ukraine.
Doch ob wir wollen oder nicht: Jesus – und nur ER hat in der Kirche das Sagen – lehnt selbst diese vermeintlich oder tatsächlich rettende Gewalt ab! Der Richter der Welt nimmt lieber alle Gewalt der Welt auf sich als selber durch Gewalt zu (über-)leben. Das allein ist Gottes Gericht über die gewaltverseuchte Erde und Menschheit! Nicht Gewalttätern das Genick brechen, sondern die Gewalt selbst töten, indem ER sie durch sein freiwilliges Leiden ins Leere laufen ließ und so ihre tödliche Dynamik entmachtete. Sollte es uns nicht überaus stutzig machen, dass ausgerechnet ein römischer Offizier und gewalterfahrener Kriegsheld unter dem Kreuz Christi erkannte: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.“? (Mk 15,39) Und eben nicht sein oberster Regent und Befehlshaber in der Hauptstadt?
Jesus verurteilt Gewalt zur Verteidigung aber nicht einfach im moralischen Sinn. Unser Urteil über die militärische Gegenwehr der Ukraine sollte darum auch zurückhaltend sein, wir erleiden den Krieg ja nicht direkt. Bei unseren Waffen-lieferungen dorthin sieht das aber schon ganz anders aus. Denn Jesu führt uns mit seinem Wort die mehr als wahrscheinlichen Konsequenzen auch einer gewaltsamen Verteidigung vor Augen: Schwert gebiert immer nur neue Schwerter und Tod. Gewalt kann und wird immer nur neue Gegengewalt erzeugen, neues Leid, neues Unrecht, noch mehr Zerstörungen und neue Gründe für den Gegner, jetzt erst recht zurückschlagen zu können.
Diese endlosen Spiralen unserer Gewalt hat Jesu sichtbar gemacht, sie als „Hölle“ entlarvt und durch eigenes Leiden tatsächlich durchbrochen, überwunden, und damit allen Gewaltgläubigen zu allen Zeiten ein neues Bild von sich selbst geschenkt: „Du kannst auch anders, Mensch! Immer!“ – Ist es nicht tatsächlich so?
Wenn wir Menschen wirklich wissen wofür, können wir selbst größte Opfer erbringen, echte, gewaltfreie „Liebesopfer“ also. Und überaus wirkmächtig dazu!
Mahatma Gandhi hat ganz Indien durch leidensfähigen und gewaltfreien Widerstand vom damals übermächtigen britischen Imperium befreit. Nicht schnell, aber dafür umso nachhaltiger!
Im Oktober 1989 sind in Leipzig 70000 Menschen aus Kirchen und Häusern heraus solidarisch auf die Straßen gegangen, mit Kerzen, Gesang und Gebeten, und mit dem heiligen Schwur: „Keine Gewalt!“ – „Mit allem haben wir gerechnet“, sagten die Militärs damals, „aber damit nicht!“ Sie fanden einfach keine Rechtfertigung, ihre Panzer wieder rollen zu lassen wie am 17. Juni 1953. Die DDR war frei – weil Gewalt-frei!
Amsterdam ist heute noch eine blühende und vielbereiste Touristenattraktion, obwohl der deutsche Angriffskrieg schon im Mai 1940 auch über die Niederlande rollte, aber ohne große Gegenwehr. Waren die Niederländer nur feige oder eher weise und besonnen? Viele Städte der Ukraine liegen dagegen schon nach wenigen Wochen Krieg für Jahrzehnte in Schutt und Asche.
Nein, es wäre zynisch, der Ukraine für Putins Verbrechen die Schuld zu geben. Und dennoch stellt der Vergleich uns alle vor die Frage, welche aktive Gegenwehr vom Ende her und von Gottes Gericht her betrachtet Land und Leute mehr schont und neue Versöhnung stiften kann…
Wir können den Menschen in der Ukraine den Weg des Kreuzes nicht vorschreiben. Er muss wie immer in freier verantwortlicher Tat und im Vertrauen allein auf Gott und seine Auferstehungsmacht ergriffen werden. Aber wenn wir die weiter drohende Eskalation verhindern, Putins Macht gewaltfrei schwächen und ihn an den Verhandlungstisch bringen wollen, werden wir ihm sein Öl und Gas nicht mehr abkaufen, ein Geschäft, mit dem wir täglich (!) Millionen neue Euros in seine Kriegs-kassen spülen!
Das Kreuz „auf sich nehmen“, kann dann für uns bedeuten: Bewusster Verzicht auf Wohlstand, autofreie Sonntage, Energie drosseln, wo es nur geht, steigende Arbeitslosigkeit und steigende Preise und zur Not auch frieren im Winter, Frieren für den Frieden! Und bereit sein, alles mit den dann besonders Notleidenden zu teilen! Das wäre in ganz Europa ein Beitrag zum kollektiven und gewaltfreien Widerstand gegen Putins Gewalt und gewiss nach Gottes Recht und Gericht. Sind wir dazu bereit?
Lasst uns alle beten und arbeiten bis ganz Europa neu sieht und singen kann:
„Jubeln sollen die Bäume des Waldes vor dem Herrn, denn ER kommt, um die Erde zu richten.“
Ihr Bert Gedenk