Friedensforum Emden, Rede Schlusskundgebung Ostfriesischer Ostermarsch von Bert Gedenk

im Emder Stadtgarten am Samstag, 08.04.2023

 
Liebe TeilnehmerInnen am ostfriesischen Ostermarsch 2023!
Schuldhafter Pazifismus oder schuldhafter Militarismus. Wir alle spüren wohl mehr oder weniger ähnlich wie Carl Osterwald und Jannik Vogler diese Zerrissenheit seit dem verwerflichen Angriff Russlands auf die Ukraine.
Und dennoch können und dürfen wir uns in diesem Dilemma nicht einrichten. Die Toten dieses Krieges und aller Kriege erlauben es uns einfach nicht. Sie fragen die Politik, sie fragen uns alle: Warum? Wozu? Wo ist der Ausweg aus diesem Dilemma? Wo die Alter­native, wenigstens für die Überlebenden, für die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder? Soll das denn immer so weiter gehen? Gewalt und Gegengewalt und wieder Gewalt und Gegengewalt?
Und wir wären keine Oster­marschiererInnen mit guter Termin-Tradition zwischen Karfreitag und Ostersonntag, zwischen der globalen Ge­waltkultur einerseits und ihrer radikalen Überwindung zu neuem, gewaltfreiem Leben andererseits, wenn wir der Zweideutigkeit und den Gräbern der Gewalt das letzte Wort und Recht überließen!
Ja, das Völkerrecht sieht die Selbstverteidigung eines überfallenen Landes als noch einzig legalen Grund für die Anwendung militärischer Gewalt vor. Gewalt zur Selbstverteidigung, die ist legal! Aber dennoch haben wir immer zugleich zu fragen: Ist sol­che Gewalt auch legi­tim? Ist sie jeweils angemessen? Verhältnismäßig? Ver­antwortlich? Klug? Friedenstriftend? Zukunftsweisend? Bringt Gewalt zur Selbstverteidigung am Ende Rettung oder nur noch mehr Verder­ben?
Gerade der, der Gewalt einsetzt, um schlimmere Gewalt zu verhin­dern, steht unter besonderer Verantwortung und Rechtferti-gungspflicht vor Gott, dem Grundgesetz und allen Menschen. Das lernt jeder Polizist, wenn er an der Waffe ausgebildet wird, zurecht. Denn jede Gewalt neigt zur Eskalation, auch die zur Verteidigung von Recht und Frei­heit! Jetzt, in der Ukraine neigt sie sogar bis zum dritten und dann vielleicht letzten, atomaren Weltenbrand gegen die ganze Menschheit, und sei es nur aus Versehen oder ausgebrannter Kriegsmüdigkeit. 
Wer diese begründete Angst der Menschen als „Pu­tinversteherei“ verunglimpft, der hat damit schon bewiesen, dass er die Verantwortung von Gewalteinsätzen weder begriffen hat, noch überhaupt imstande ist, diese Verantwortung wirklich zu tragen. Er verdient, dass wir ihm unser ganzes Vertrauen sofort entziehen!
Der Karfreitags- und Ostermensch weiß und sagt: „Wer das Schwert auch zu seiner Verteidigung oder zur Verteidigung seiner Freunde ergreift, wird durch das Schwert umkommen.“ (Mt 26,52) Dieses Wort ist nicht gegen die einfachen, überfallenen Men­schen in der Ukraine gesagt, schon gar nicht als ih­re Belehrung von außen. Dieses Wort ist vielmehr uns allen gesagt, der ganzen Menschheit, auch der Regierung in der Ukraine! Damit wir unsere Hoffnung nicht auf die falschen Retter setzen!
Die falschen und die wahren Retter:  In meiner eigenen Ratlosigkeit und Zerrissenheit habe ich Hilfe gesucht bei einem guten, alten Freund der Friedensbewegung. Vor über 2700 Jahren schon hat der Prophet Jesaja (Kapitel 31) in ganz ähnlicher Situation wie wir heute seinem Volk und damit der gan­zen Menschheit, vor allem den religiösen und politischen Eliten eines Landes, ins Gewissen geschrieben: Auch wenn ihr militärisch noch so bedroht seid, vertraut keiner anderen militärischen Großmacht zu eurer Rettung, zu keiner Zeit! Egal, wie modern und schlagkräftig ihre Waffen auch sind!  Egal, ob sie autokratisch daherkommt, die Großmacht, oder demokratisch legitimiert ist! Großmächte sind und bleiben prinzipiell aufgeblasene Nichtse. Keine Großmacht hat in der Geschichte je überlebt und wird je überleben! Und kein Land, das von einer Großmacht beschützt wird, wird bestehen bleiben, so Jesaja! Warum? Großmächte, so Jesaja weiter, können letztlich nur sich selbst lieben und anbeten und auf Kosten anderer ihr gewaltsam Angehäuftes gewaltsam sichern. Sie können nicht teilen, den Menschen nicht selbstlos dienen, nur mit Eigensinn und Eigensucht andere nur für ihre unheiligen Zwecke benutzen. Darum warnt Jesaja: „Wehe euch, die Ihr eure Sicherheit auf Großmächte und Ihre Waffen setzt! Ihr werdet alle miteinander verderben!“
Harald Kujat, der ehemalige Generalin­spekteur der Deutschen Bundeswehr, also höchster deutscher General a.D., und jahrelanges Mitglied im NATO-Russland-Rat, bestätigt uns jetzt diese alte Weisheit und Warnung Jesajas! Als Insider der Macht weiß er, wovon er spricht. Im Ruhestand kann er offenbar noch freier reden. Am 18. Januar dieses Jahres hat Kujat in einem Schweizer Interview gesagt: (https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-1-vom-18-januar-2023.html)
„Viel­leicht wird einmal die Frage gestellt, wer diesen Krieg wollte, wer ihn nicht verhindern wollte und wer ihn nicht verhindern konnte.“ Noch deutlicher sagt Kujat: „Nach zuverlässigen Informationen hat der damalige britische Premierminister Boris Johnson am 9. April 2022 (also wenige Wochen nach Kriegsbeginn, d.V.) in Kiew inter­veniert und eine Unterzeichnung (des damals schon mit Russland und der Ukraine gemeinsam ausgehandelten Friedensvertrages, d.V.) verhindert. Seine Be­gründung war, der Westen sei für ein Kriegsende nicht bereit.“ Der Westen! Der englischsprachige Westen, und die anderen ließen sich offenbar mitziehen, auch die Ampel Berlin!
Dazu speziell General Kujat: „Einige Politiker rechtfertigen…(deutsche Waf­fenliefe­rungen an die Ukraine, d.V.) sogar mit dem unsinnigen Argument, dass un­sere Freiheit in der Ukraine verteidigt würde… Aber die beiden Hauptakteure in diesem Krieg sind Russland und die USA. Die Ukraine kämpft auch für die geopolitischen Interessen der USA… Deren erklär­tes Ziel ist es, Russland politisch, wirtschaftlich und militärisch so weit zu schwächen, dass sie sich dem geopolitischen Rivalen zu­wenden können, der als einziger in der Lage ist…die US-Vormachtstellung als Weltmacht zu gefährden: China.“   
Nach diesen offenen Worten des ehe­mals höchsten deutschen Generals besteht für mich kein Zweifel mehr, dass unsere deutschen Waffenlieferungen, die offenbar noch jahrelang so weiter­gehen sol­len – darauf werden wir ja gerade medial eingeschworen – keine „Hilfe“ für die Menschen in der Ukraine sind. Sie sind der Fluch ihres und vielleicht auch unseres Verderbens! Es war für einen Mann wie Kujat oder auch für das SPD-Urgestein Klaus von Dohnanyi (vgl. dazu K.v. Dohnanyi, Nationale Interessen, 2. Aufl. Jan 2022) schon lange vor dem Krieg klar, dass die durch westlichen Wortbruch gegenüber Russ­land vorangetriebene NATO-Osterweiterung unter hochmütiger Missachtung der russischen Sicherheitsbedürfnisse ein schwerer politischer Fehler des Westens war.
Ich weiß, das alles kann und darf den Angriffs-Krieg Putins niemals recht­fertigen. Aber es muss uns selbst doch erschrecken, dass der Frieden und die Sicherheit von Millionen, von uns allen in Deutschland und Europa, auch durch die Feindbildpflege zur Machterweiterung der USA und zum Selbsterhalt der NATO als ver­meintlicher „Weltpolizei“ sträflich aufs Spiel gesetzt wurde und immer noch wird – unser aller Leben!
Darum warnt v. Dohnanyi vor allem seine eigene Partei und Regierung, die „vitalen Interessen Deutschlands“ nicht in falscher Bündnistreue zu ver­raten. Gerade jetzt, im Krieg, gilt für ihn noch einmal mehr (Sendung „Maischberger“, 11.5.22 ARD) Deutschland und Europa können „nur mit Russ­land Frieden finden, nicht gegen Russ­land.“
Während unser Bundeskanzler also gerade in der Gefahr steht, das mutige Erbe der Ostpolitik Willy Brandts zu verspielen und seinen Amtseid zu brechen, „Schaden vom Deutschen Volk ab(zu)wenden“, indem er einer selbstsüchtigen Großmacht wie den USA mehr dient als dem Friedensgebot unseres Grundgesetztes, liegt für seinen Partiekollegen von Dohnanyi ganz im Interesse Deutschlands (Zitat): „dass sich die transatlanti­sche Allianz und die NATO endlich von der Dominanz mili­tärischer Si­cherheitsüberlegungen“ löst, und eine „moderne, zeitge­mäße Si­cherheitsstrategie verfolgen.“ (ebd, Nationale Interessen, S. 215)
Wir brauchen also noch weitaus mehr als einen sofortigen Kriegs- und Waffenstopp, mehr als vorbehaltlose Verhandlun­gen auch mit einem Verbrecher, wenn es um das Heil und den Frie­den der Welt geht. Der Friede braucht auch eine Ordnung, eine neue, weltweite Friedens-Ordnung. Wir brauchen ein Umdenken in allen Bereichen unserer Gesellschaft, ei­nen Systemwechsel. Was heißt das konkret? Zwei Dinge möchte ich dazu am Ende beitragen.
1)             Wir brauchen zum einen eine neue Abteilung im Bundes-verteidigungsministerium, ein Vorschlag an Boris Pistorius. Die Abteilung für „Soziale Verteidigung“, die künftig vom Kindergarten über die Schulen bis in die Büros und Industriebetriebe hinein systematisch-staatlich bei uns organisiert und eingeübt wird. Jeder Aggressor soll künftig von vornherein wissen, dass er es bei uns mit einer Bevölkerung zu tun bekommen wird, die auch unter Übernahme von eigenem Leiden bereit ist, ein ganzes Land dauerhaft lahm zu legen, bis nichts mehr geht für den Besatzer. Gandhi hat das im englisch besetzten Indien praktiziert, mit langem Atem, aber letztlich erfolgreich, mit Schmerzen, ja, aber mit weit weniger als hunderttausenden Toten! Wie können wir dann eine solche Verteidigungsform ernsthaft ablehnen, wenn wir sie selber noch nie organisiert und versucht haben?
 
2)             Wir brauchen eine neue Schutzmacht gegen Agg­ressoren, aber eine Schutzmacht ohne eigene Machtinteressen, die einen Konflikt nur noch mehr aufheizen und verlängern wie jetzt in der Ukraine. Keine Großmacht kann und darf sich künf­tig als Weltpolizei aufspielen, und doch nur – gegen uns alle – ihr ei­genes Süppchen kochen. Wir brauchen eine starke internationale In­stitution, die in Zukunft allein das Recht und die Mittel hat, im Falle eines Angriffs schützende Gewalt im Namen der ganzen Völkerfamilie dieser Erde zu organisieren und auch wirksam auszuüben.
Das Völkerrecht auf Selbstverteidigung nur eines einzelnen angegriffenen Landes ist im Zeitalter modernen Waffen und Kriegsführung eine Far­ce geworden und eine Dauergefahr zur Eskalation. Von einem Einbruchsopfer wür­den wir doch auch nie erwarten, dass es den Dieb selber verfolgt, seine Beute selber zurückholt und ihn dingfest macht. Das macht bei uns die Polizei stellvertretend für die Opfer. Und das ist nur gut so!
Von der Ukraine erwarten wir dagegen, dass sie selber die Drecks-arbeit macht, mit unserer sogenannten „Hilfe“, während wir saubere Hände behalten wollen. Ich finde, das ist wirklich Feigheit und auch Schuld. Ich weiß nicht, wie es euch geht, liebe FriedensfreundInnen, ich finde diese Heuchelei je länger je mehr unerträg­lich. Und ich finde, wir können keiner Partei mehr unsere Stimme und Mitarbeit schenken, die das weiter mitträgt!
Das Recht zur Selbstverteidigung muss darum durch unser Einwirken  als Friedensbewegung auf alle politisch Verantwortlichen in allen Par­teien umgewandelt werden in den konsequenten Einsatz für eine Selbst-Verpflichtung der ganzen Völkerfamilie, gegen jeden Aggressor stellvertretend für die Angegriffenen einzutreten, ja, zur Not eben auch mit Gewaltmitteln, wie unsere Polizei im Inland. Das müssen wir akzeptieren. Aber eben mit solchen Mitteln, die auch dann nicht eskalieren und weiter allein ans Recht gebunden sind, statt an zweifelhafte und kontraproduktive Machtinteressen einzelner. Diese unabhängige, nicht selbstsüchtige Ordnungs-Macht kann künftig alleine die UNO, die Vereinten Nationen dieser Welt übernehmen und ge­stalten, eine andere Organisation haben wir nicht.
Wir Menschen können Frieden! Wir haben das Faustrecht im Inland gegen das Gewaltmonopol des Rechtsstaates eingetauscht. Und es geht uns weitgehend gut dabei. Wir achten das Gewaltmonopol des Staates weitgehend, weil wir alle dadurch einen Gewinn an Recht und Frieden haben, wenn auch gewiss nicht den ewigen Frieden, aber doch immerhin. Wir leben, statt uns die Köpfe einzuschlagen. Wir haben in der deutschen und europäischen Geschichte aus dem ewi­gen Krieg der Fürstentümer und Königreiche durch eine Kultur der nationalen und in­ternationalen Verträge gelernt uns zu vertragen.
Doch global herrscht ausgerechnet im Zeitalter der Globalisierung immer noch das stein­zeitliche Faust-Recht der Großmächte. Das kann und darf nicht so bleiben, wenn wir als Menschheit überleben wollen, gerade in Zeiten des Kli­mawandels und seiner längst absehbaren Folgen:  Flüchtlings­wellen, Streit um Land, Wasser und Ressourcen, Dürren, Über­schwemmungen und Ernteausfälle. Gerade aber im Blick auf die Klimakrise haben wir jetzt eine besondere Chance für einen Systemwechsel!
Die Groß­mächte könnten besonders von Deutschland und Europa aus bewegt und ermutigt werden, das al­leinige Gewaltmonopol künftig der UNO zu übertragen, weil die Großmächte dadurch selber von ihren irrsinnigen Rüstungsausgaben entlastet würden, Kräfte und Mittel einsparen und freischaufeln könnten, um die dramatischen Folgen des Klima­wandels bei sich selbst sozial, ökologisch und wirtschaftlich abzufe­dern und so einen Sicher­heitsgewinn für sich selbst entdecken! Ich finde darum, Michael Schuck hat soeben recht zitiert: „Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ (V. Hugo) Wir stehen tatsächlich vor einer menschheitsgeschichtlichen Weichenstellung, auch für die Idee einer neuen, an internationales Recht statt an eigennütziger Macht gebundenen Friedensordnung! Das ist zivilisatorisch jetzt einfach dran. Und ich bin gewiss, dass die Parteien, die das zuerst begreifen und auch glaubwürdig umsetzen, zu Hoffnungsträgern vieler, vieler Menschen werden!
Noch ist Zeit, diese Vision ins politische Spiel zu bringen, aber nur, wenn wir uns auch als Friedensbewegung besser vernetzen, organisieren und uns auf diese konkreten Ziele fokussieren, auch hier in Emden!
Und selbst, wenn die Zeit nicht mehr reicht, sind wir es dennoch unserer eigenen Würde als Mensch schuldig. Unsere Kraftquelle ist nicht der Erfolg. Unsere Kraftquelle ist das immer greifbare Gute, das was einzig bestand hat in der Geschichte, die Güte, der eine, ungeteilte, gerechte Frieden für alle.  
Ich möchte darum mit einem Wort von Anjte Vollmer schließen, der jüngst verstorbenen großen Seele der Grünen Partei. In ihrem letzten Essay fragt sie verzweifelt: „Was hat die heutigen Grünen verführt, …ihre wertvollsten Wurzeln als lautstarke Anti-Pazifisten verächtlich zu machen?“ Und sie schließt mit der Vision unseres alten, guten Freundes Jesaja: „Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren, einzigartigen, wunderbaren Planten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen.“ (vgl. Jes 2,4)
 
Ich danke Euch fürs Zuhören und wünsche uns allen in diesem Sinn: Frohe Auferstehung aus den Gräbern der Gewalt in ein wirklich neues Leben!

Andacht für den Gemeindebrief der Ev.-ref. Gemeinde Emden, Sommer 2022:

„Jubeln sollen die Bäume des Waldes vor dem Herrn, denn er kommt, um die Erde zu richten.“ 1. Chronik 16,33

Gedanken zum Monatsspruch August 2022 von Bert Gedenk

Liebe Gemeinde,

Sommerzeit – Jubelzeit! Die Natur in voller Pracht, ja Freude! Der grüne Wald ein einziges Gotteslob! Jubelzeit auch für uns Menschen? Wie schön wäre das! Zu singen: „Geh aus mein Herz und suche Freud!“ – Doch im Harz singt der verdorrte Wald sein Totenlied. Klimawandel. Herrenmensch lässt grüßen! In der Ukraine tötet ein verbrecherischer Kriegs-Herr ungezählte Menschen, verkohlte Städte und Natur. Was kann sich aus der Gewalt und Gegengewalt noch alles zusammenbrauen in diesem Sommer? Krisenstimmung überall. Sommerjubel will so kaum aufkommen.

Ich lese den Vers der Chronik erneut. Nicht der Sommer ist Grund zum Jubel, sondern Gottes Gericht über seine Erde! Endlich spricht mal Einer Recht! Sagt, was hilft und wo es lang geht! Klares Gottesrecht statt unserem Meinungs- und Paragraphennebel. Aber kein Strafgericht! Wenn Gott Gericht hält, richtet er nicht(s) zugrunde, er richtet vor allem auf! Bringt Menschen und Schöpfung wieder zu­recht, versöhnt Gewaltopfer und Gewalttäter. Wann kommt Dein Gericht end­lich, Gott?! Uns regieren so viele Lügen!

In Moskau lehrt der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, Putins Angriffskrieg gegen den „dekadenten Westen“, wo homosexuelle Paare gesegnet werden, sei „gerecht“. Wie Putin, bezeichnet auch er den Krieg vor den russischen Soldaten als gottwohlgefälliges „Liebesopfer für seine Freude“ (vgl. Joh 15,13).  

Zeitgleich predigt der Primas der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, dass Töten zur Verteidigung „keine Sünde“ und von der Kirche „abgesegnet“ sei.  Es brauche da auch „keine Beichte“, glaubt ein anderer ukrainischer Geistlicher zu wissen. Töten als „gute Tat“?

Ja, das Völkerrecht erlaubt der Ukraine, sich gewaltsam zu verteidigen. Aber auch das unverzichtbare Völkerrecht ist noch lange kein Gottesrecht! Ich fürch­te, beide Kirchenlager werden vor Gottes Gericht nicht bestehen.

Denn der gekreuzigte und auferstandene HERR der Kirche ist allein das Gericht Gottes über seine Erde! Dieser Richter lehrte und lebte: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert ergreift, wird durch das Schwert um­kommen.“ (Mt 26,52) Das sagt Jesus nicht zu einem gewalterprobten römi­schen Besatzungssoldaten, sondern zu einem Freund, der ihn bei seiner Verhaf­tung vor den Römern mit Gewalt retten will! Ähnliche „Rettung“ versucht man z.Zt. in der Ukraine.

Doch ob wir wollen oder nicht: Jesus – und nur ER hat in der Kirche das Sagen – lehnt selbst diese vermeintlich oder tatsächlich rettende Gewalt ab! Der Richter der Welt nimmt lieber alle Gewalt der Welt auf sich als selber durch Gewalt zu (über-)leben. Das allein ist Gottes Gericht über die gewaltverseuchte Erde und Menschheit! Nicht Gewalttätern das Genick brechen, sondern die Gewalt selbst töten, indem ER sie durch sein freiwilliges Leiden ins Leere laufen ließ und so ihre tödliche Dynamik entmachtete. Sollte es uns nicht überaus stutzig machen, dass ausgerechnet ein römischer Offizier und gewalterfahrener Kriegsheld unter dem Kreuz Christi erkannte: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.“? (Mk 15,39) Und eben nicht sein oberster Regent und Befehlshaber in der Hauptstadt?

Jesus verurteilt Gewalt zur Verteidigung aber nicht einfach im moralischen Sinn. Unser Urteil über die militärische Gegenwehr der Ukraine sollte darum auch zurückhaltend sein, wir erleiden den Krieg ja nicht direkt. Bei unseren Waffen-lieferungen dorthin sieht das aber schon ganz anders aus. Denn Jesu führt uns mit seinem Wort die mehr als wahrscheinlichen Konsequenzen auch einer gewaltsamen Verteidigung vor Augen: Schwert gebiert immer nur neue Schwerter und Tod. Gewalt kann und wird immer nur neue Gegengewalt erzeugen, neues Leid, neues Unrecht, noch mehr Zerstörungen und neue Gründe für den Gegner, jetzt erst recht zurück­schlagen zu können.

Diese endlosen Spiralen unserer Gewalt hat Jesu sichtbar gemacht, sie als „Hölle“ entlarvt und durch eigenes Leiden tatsächlich durchbrochen, überwunden, und damit allen Gewaltgläubigen zu allen Zeiten ein neues Bild von sich selbst geschenkt: „Du kannst auch anders, Mensch! Immer!“ – Ist es nicht tatsächlich so? 

Wenn wir Menschen wirklich wissen wofür, können wir selbst größte Opfer er­bringen, echte, gewaltfreie „Liebesopfer“ also. Und überaus wirkmächtig dazu!

Mahatma Gandhi hat ganz Indien durch leidensfähigen und gewaltfreien Wi­derstand vom damals übermächtigen britischen Imperium befreit. Nicht schnell, aber dafür umso nachhaltiger!

Im Oktober 1989 sind in Leipzig 70000 Menschen aus Kirchen und Häusern heraus solidarisch auf die Straßen gegangen, mit Kerzen, Gesang und Gebeten, und mit dem heiligen Schwur: „Keine Gewalt!“ – „Mit allem haben wir gerechnet“, sagten die Militärs damals, „aber damit nicht!“ Sie fanden einfach keine Rechtfertigung, ihre Panzer wieder rollen zu lassen wie am 17. Juni 1953. Die DDR war frei – weil Gewalt-frei!

Amsterdam ist heute noch eine blühende und vielbereiste Touristenattraktion, obwohl der deutsche Angriffskrieg schon im Mai 1940 auch über die Niederlande rollte, aber ohne große Gegenwehr. Waren die Niederländer nur feige oder eher weise und besonnen? Vie­le Städte der Ukraine liegen dagegen schon nach wenigen Wochen Krieg für Jahrzehnte in Schutt und Asche.

Nein, es wäre zynisch, der Ukraine für Putins Verbrechen die Schuld zu geben. Und dennoch stellt der Vergleich uns alle vor die Frage, welche aktive Gegenwehr vom Ende her und von Gottes Gericht her betrachtet Land und Leute mehr schont und neue Versöhnung stiften kann…

Wir können den Menschen in der Ukraine den Weg des Kreuzes nicht vor­schreiben. Er muss wie immer in freier verantwortlicher Tat und im Vertrauen allein auf Gott und seine Auferstehungsmacht ergriffen werden. Aber wenn wir die weiter drohende Eskalation verhindern, Putins Macht gewaltfrei schwächen und ihn an den Verhandlungstisch bringen wollen, werden wir ihm sein Öl und Gas nicht mehr abkaufen, ein Geschäft, mit dem wir täglich (!) Millionen neue Euros in seine Kriegs-kassen spülen!

Das Kreuz „auf sich nehmen“, kann dann für uns bedeuten: Bewusster Verzicht auf Wohlstand, autofreie Sonntage, Energie drosseln, wo es nur geht, steigende Arbeitslosigkeit und steigende Preise und zur Not auch frieren im Winter, Frie­ren für den Frieden! Und bereit sein, alles mit den dann besonders Notleiden­den zu teilen! Das wäre in ganz Europa ein Beitrag zum kollektiven und gewaltfreien Widerstand gegen Putins Gewalt und gewiss nach Gottes Recht und Gericht. Sind wir dazu bereit?

Lasst uns alle beten und arbeiten bis ganz Europa neu sieht und singen kann:

„Jubeln sollen die Bäume des Waldes vor dem Herrn, denn ER kommt, um die Erde zu richten.“ 

Ihr Bert Gedenk