Predigt zur Jahreslosung 2022, Johannes 6, 37

Hallo Ihr Lieben, hier lest Ihr die Predigt zur Jahreslosung 2022, Johannes 6, 37 von Pastor Bert Gedenk – aus dem gestrigen (16.01.2022) Gottesdienst .

Liebe Gemeinde,

am Anfang des neuen Jahres steht dieses Bild der Künstlerin Stefanie Bahlinger. Es will der biblischen Losung für das neue Jahr 2022 Ge­stalt geben, uns durch dieses Jahr begleiten.

Schauen wir uns das Bild an. Oder besser: schauen wir uns in dieses Bild hinein. Es nimmt uns mit aus einem blau-kalten, dunklen Vor­raum ins Helle, in die Bildmitte. Dort tut sich eine Tür für uns auf. Hinter dem Raum mit seiner kalten, abweisenden Wand scheint es hell und warm. Jemand hat die Tür für uns geöffnet. Die Tür­klinke scheint etwas zu hängen, als wollte sie uns sagen: „Diese Tür wird wohl nie wieder ganz verschlossen werden können!“

Einladend wirkt die offene Tür. Wer hat sie wohl für uns geöffnet? Wer lädt da ein? Kenn ich den? Will ich den kennenlernen? Neugierde lockt mich. Aber ich spüre auch die Schwelle vom Dunkel zum Licht. Sie lässt mich stocken. Gehe ich hin­ein? Nehme ich die Einladung an? Oder bleibe ich lieber im sicheren Dunkel meiner Welt verhaftet?

Das Licht fällt schon aus dem Hellen in mein Dunkel hinein. Es macht die Schwelle, den Übergang weicher, leichter. Das Licht durchbricht mein Dunkel, wie ein kleiner Stern die scheinbar undurchdringliche Nacht durchbricht, wie oft schon ein kleines, freundliches Lächeln den Lebenszweifel eines Menschen verreiben kann. Das Licht zieht uns in seinen Raum. Es flüstert zu Dir und mir, uns allen zu: „Vergesst es nicht: Ihr seid Kinder des Lichts und nicht der Dunkel­heit!“ Ich mache mich auf, dem Licht entgegen.

Brot und Wein stehen verlockend auf dem Tisch, vom Licht ange­strahlt. Ein heiliger Raum tut sich da für uns auf, heilig weil heilend.

Brot und Wein – Nahrung für Leib und Seele. Unser Leib: Ort unserer leiblichen Bedürfnisse, und dass sie ein Recht haben auf Befriedigung durch Gottes reiche Schöpfergaben. Ruhe finden. Abstand vom Alltag finden. Und niemand soll mehr hun­gern, niemand soll Durst leiden, der in dieses Licht kommt. Wirklich niemand mehr! Hier in Emden nicht und auf der ganzen Welt nicht.

„Es ist genug für alle da!“ sagen Brot und Wein. „Es wird nie für alle rei­chen!“, sagt die Angst, die Gott nicht kennt und die das Danken und Teilen von allem Leiblichen scheut und darum nie wirklich satt wird. Doch auch die gottlose Angst kriegt die Tür nicht mehr zu!

Brot und Wein, Nahrung auch für die Seele. Sie verkörpern im Glau­ben ein einziges Menschenleben, ein Menschenleben, das sich allen Menschen zu allen Zeiten geschenkt hat: Jesus, der Christus Gottes, in Brot und Wein. Eine Liebe für alle. Ein Ja zu jedem. Und ein Nein gegen alles, was schmerzvoll trennt.

Das Kreuz, SEIN Kreuz, ist der Schlüssel, der uns allen die Tür geöff­net hat und geöffnet hält. Unvorstellbar wahr: Christus – gestor­ben für alle, für jeden Menschen! Ein für allemal! Seither ist niemand mehr außerhalb von Gott! Außerhalb von Liebe. Außerhalb von Sorge und Trost. Weder im Leben noch im Sterben. Keiner steht mehr außerhalb von Gottes Nähe und Gemeinschaft. Keiner ist mehr ausgeschlossen, weder im Diesseits noch im Jenseits. Christus selbst ist das Brot des Le­bens, sich hingebende, einla­dende, verbindende Liebe, über alle tie­fen Gräben und hohen Mau­ern hinweg, die wir Menschen kennen oder selber graben und aufrichten. Wo Grenzen und Mauern noch bestehen, sind sie seit Chris­tus nur noch etwas Vorletztes. Sie haben keine ewige Macht und Be­deutung mehr. Christus – der Türöffner, er lebt und ist nicht mehr tot zu kriegen, denn sein Tod wurde selber zum Siegel der grenzenüberwindenden Liebe.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, sagt der Jesus der Jahreslosung. Er predigte ebenso: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühse­lig und beladen seid.“ Oder: „Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht.“ Immer ist die Botschaft: Keiner wird weggeschickt! Keine wird abgewim­melt! Niemand bleibt außen vor! Die Kleinsten und Fernsten und selbst die Gemeinsten sind ihm die Nächsten!

Doch seit geraumer Zeit erleben wir fast überall das genaue Gegen­teil: alles und jeden abwehren, Dicht­machen, Grenzzäune ziehen, Mauern bauen, Brücken kappen, andere Ausgren­zen, Verurteilen, Ver­teufeln, Gespräche verweigern, feste Standpunkte bis aufs Blut be­haupten…

Unsere eigenen Kinder schließen wir seit Jahrzehnten schon von ihrer Zukunft aus, durch einen Lebensstil, dem die Zukunft egal wurde. Brauchen sie immer noch mehr Plastik-Spielzeug von uns oder besteht Kin­derliebe nicht eher in unserem eigenen nachhaltigen Leben, damit sie nach uns auch noch in Frieden leben können?

Flüchtlinge an unseren Grenzen erleben: „Du bleibst draußen!“ Be­waffnete staatliche Grenzschützer lassen sie vor ihren Augen im Mittelmeer ertrinken! Täglich. Sind uns Grenzen und Wohlstand wirklich wichtiger als Ertrinkende? Wehe dir Europa! Du verlierts ge­rade deine Mitte, deine Seele, deinen Frieden, deine Glaubwürdigkeit durch praktiziertes Menschenrecht, wenn du die offene Tür Gottes selbstherrlich und eigensüchtig zuzudrücken versuchst!

Grenzen und Mauern widersprechen Gottes offener Schöp­fungsordnung, auch wenn sie noch so sicher und erfolgreich scheinen. Sie halten immer nur für eine begrenzte Zeit, dann müssen sie fallen. Das müssten wir Deutschen doch am besten wissen. Verschlossene Herzen, Schlagbäume und Mauern werden eines Tages fallen, auch wenn sie noch so sehr wie ein „Eiserner Vorhang“ auf uns wirken.

Auch Alte und Arme werden immer mehr vom Leben abgeschnitten. Wohnen wird unbezahlbar. Und auf dem Sozialamt wirst du schnell zum Bittsteller, wie ein „Außerhalb-Mensch“ ohne eigene Würde und Rechte.

Kranken und ster­benden Menschen wird im Krankenhaus der Besuch von Angehörigen und Seelsorgern verweigert oder auf nur eine Stunde am Tag reduziert. Plötzlich bist du – vermeintlich durch Corona – außen vor, weitgehend isoliert! Mit welchem Recht, wenn gleichzeitig Fußballstadien mit tausenden Menschen ohne Maske gefüllt sein dür­fen?

Wie ab­gewiesen fühlen sich auch immer mehr Menschen beim Arzt, wenn er nur noch sieben Minuten Zeit für dich hat, weil das marode Gesundheitssystem nicht mehr zulässt.

Und beim Kundendienst in der Warteschleife wirst du von A nach B abgewim­melt, „dann drücken Sie die 1, die 2 oder die 3!“ sagt ein freundlich-gleichgültiger Au­tomat, bis du dich im Nirwana verloren hast und aufgibst, weil du auch möglichst aufgeben sollst, um nicht den Betrieb zu stören.

Abweisung an allen Ecken und Enden. Als sei das die Mode unserer Zeit. Wie auch die berühmte Blase, die „Bubble“, in der viele leben. Es heißt zwar „soziale“ Medien. Aber in unserer medialen Blase hören und sehen wir nur noch, was wir hören und sehen wollen, was uns gleich ist. Wir kehren uns ab von den Andersredenden, Andersden­kenden, Andersglaubenden als wären wir dann sicherer. Doch die Angst wächst weiter und weiter in unserer Blase. Verschwörungstheorien tyrannisieren Land und Leute. Wir glauben nur noch, was alle in unse­rer Blase glauben, weil alle es dort doch auch glauben!

Dass es Corona z.B. gar nicht gebe, dass Impfen nur krank mache, dass Demokratie und Geschlechtergleichheit falsch seien, und dass „die da oben“ doch ohnehin alle nur das eine wollen: Ihren Vorteil!

Doch wollen das die Verschwörer und ihre „Gläubigen“ etwa nicht? Ihren Vorteil? Wird die Zukunft besser, wenn künftig der Wildeste, Lauteste und Stärkste allein Recht und Macht bekommt? In der Meinungsblase gibt es keine Wahrheit mehr, nur Einbildung, weil alle Türen nach draußen verschlossen sind. Bis ein wildgewordener Mob sich zum Retter der Welt erklärt und die Parlamente stürmt. Nicht nur in den USA. Überall steht die abgeschottete Dummheit in den Startlöchern mit ihrem: „Du gehörst nicht mehr dazu! Du bist anders als ich! Du bist Feind! Du musst weg, weil ich es so will!“

Doch gilt umgekehrt nicht das Gleiche? Dürfen wir alle Kritiker der Corona-Politik pauschal als „Covidioten“ oder „Querdenker“ ins Ab­seits stellen? Gibt es nicht auch berechtigte Kritik, die gehört und manchmal auch erhört werden will? Sind allein Abschottung und Ausgrenzung die Welt, die wir wollen? Wo hören wir wieder einander zu, gerade in Kontroversen? Wo nehmen wir ei­nander wieder wahr und ernst? Wo finde ich wieder echten Austausch von Argumenten statt endlose Rechthaberei, wo echte Begegnung auf Augenhöhe? Of­fene Türen, Herzen und Köpfe? Auch in unserer kirchlichen Blase!

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, sagt Christus. „IHR mögt vielleicht so sein und tun. Abweisung auf allen Ebenen. ICH aber nicht! ICH zumindest bin um Himmels Willen und um eu­retwillen anders!“, sagt er uns in der neuen Jahreslosung.

Hier spricht das freieste ICH der Welt. Weil es sich nicht vom Zeit­geist einsperren lässt, weil es nicht in seiner eigenen engen Blase ge­fangen bleibt. Dieses freie ICH kommt aus dem weiten, unendlichen Himmel Gottes, aus seiner offenen und ungeteilten, alle Menschen verbindenden Gemein­schaft. Dieses ICH ist diese Gemeinschaft. Der zur Erde gekommene Himmel. Es ruft die drinnen zu denen nach draußen, und die draußen zu denen nach drinnen, zu Brot und Wein als seinen Lebenszeichen: Gott und Mensch und Mensch und Mensch gehören trotz aller Unterschiede und Grenzen untrennbar zusammen! Das ist die Quelle, das Licht. Das Heilige und Heilende. Darum: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“.

Liebe Gemeinde, können wir, als die Seinen, das auch von uns sagen? – Folgen wir ihm doch an seinen reichgedeckten Tisch und sind mit ihm und mit Freude auch anders und frei!“ Nicht nur etwas anders, sondern grundlegend anders!

Denn eigentlich verwischt diese neuere Übersetzung, was Jesus hier wirklich sagt. Im griechischen Original steht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ „Nicht abweisen“, klingt so harmlos. Nein, tatsächlich geht es hier um einen „abgewendeten Rauswurf“, um die grundlegende Überwindung von Ausgrenzung! Jesus stellt sich mit dem Schlüssel des Kreuzes, mit seinem Leben, Sterben und Tod für alle Sünder, für alle Ausgegrenzten dieser Welt, jeder Rauswurf­mentalität entgegen, schließt verschlossene Türen wieder auf, und hält sie für uns geöffnet, die ganze Weltgeschichte hindurch. Welch eine Tür und Wirklichkeit tut sich da tatsächlich auf:

Die NATO redet wieder mit Putin, statt ihn als das Böse selbst zu ver­teufeln und einen Krieg zu riskieren.

Der Mann redet wieder mit seiner Frau statt türenschlagend wegzulau­fen.

Die Mutter nimmt ihre Tochter wieder in den Arm statt sie weiter zu kränken, nur weil sie anders lebt als die Mutter.

Das Mädchen lässt ihre Freundin wieder ins Haus, obwohl sie zuvor auf Facebook von ihr gemobbt wurde…

„ICH jedenfalls werde dich nicht abweisen, nicht hinausstoßen!“ Das ist die gute Macht, in der wir mit Jesus Christus stehen, an allen Orten, zu jeder Zeit.

Möge diese himmlische Macht uns dieses Jahr begleiten, möge dieses himmlische Wort des Ewigen und Lebendigen auch uns Sterbliche le­bendig machen, immer neu in Bewegung setzen und an Leib und See­le wirklich sättigen!

Amen