Passionsandachten 2021

In diesem besonderen Jahr wollen wir mit Ihnen und Euch über diese erste Frage des Heidelberger Katechismus nachdenken. „Katechismus“, das klingt für viele immer noch nach verstaubter Kirche, nach lästigem Auswendiglernen und großen Versagensängsten bei Konfirmationsprüfungen. Schade, wenn Kirche nur solche Eindrücke hinterlässt! Schade, wenn sie die Schätze der eigenen Tradition nicht immer wieder heben und verteilen hilft. Denn dieses für unsere reformierte Tradition grundlegende Glaubenszeugnis ist 1663 in einer Zeit entstanden, die ähnlich unserer Zeit von Seuchen, Flüchtlingsströmen, großen Umbrüchen, Kriegen, Angst und Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet war. Acht Jahre vor Herausgabe dieses Glaubenszeugnisses, 1555, wütete auch in Heidelberg die Pest und forderte ihren traurigen Tribut. Die Welt war trügerisch, brüchig, das eigene Leben verwundbar, abgeschnitten von den anderen oder selber bedroht. Was haben die Menschen in dieser Zeit geglaubt? Was hat ihnen geholfen? Was Kraft gegeben am Schweren nicht zu zerbrechen, es gar zu überwinden?

Wir möchten versuchen, die Antwort, die der „Heidelberger“ den Menschen damals gab, für uns Menschen von heute zu übersetzen.

Andacht: Mittwoch vor Ostern 2021

 

Seid ihr noch bei Trost, Ihr Lieben? Und wenn ja, bei welchem? Als Kind war mein größter Trost mein kleiner orangener Teddy. Er hatte für mich immer ein offenes Ohr und hat manche Träne in sich aufgesogen! Ein guter wirksamer Trost!  Genau wie Martina, die mich auf dem Schulhof am ersten Tag in der Grundschule fragte, ob wir zusammensitzen wollen. Seitdem waren wir für den Rest der Schulzeit „Beste Freundinnen“. Überhaupt in jedem Lebensabschnitt sind Freunde mir bis heute ein guter wirksamer Trost.

Und ihr? Welchen Trost habt Ihr? Sind Euch Eure Kinder und Enkelkinder ein Trost? Oder tröstet ihr euch mit einer sinnvollen Arbeit? Dass ihr Euch beim Sport so richtig auspowern könnt, auch das kann ein guter wirksamer Trost sein, gerade jetzt in dieser Zeit, in der man so eingesperrt ist. Endlich mal wieder shoppen gehen! Raus, die Freiheit genießen! Oder mal wieder so richtig ausgelassen feiern! Einen Menschen umarmen, bis seine Wärme mein Herz zum Schmelzen bringt: Mensch, wäre das tröstlich!  Aber darauf müssen wir leider noch eine Weile warten.

Bleibt der Trost, dass wenigstens das Geimpfe bald ein bisschen schneller vonstattengehen kann…hoffentlich! Ich finde es übrigens auch tröstlich, dass eine Politikerin für ihre Fehler um Verzeihung bittet. Sie hat „Ihr Volk“ verunsichert und das tut ihr leid. Ich finde wirklich tröstlich, dass wir auch in aller Öffentlichkeit einen Fehler bekennen dürfen und den Mut dazu finden. Gott sei Dank!

Was ist dein Trost? Ein Gedicht oder ein Lied, dass du dir immer wieder still ins Herz schreiben kannst, ein alter Psalm allemal! Vom guten Hirten, der dich zur grünen Aue führt, durch manches finstere Tal, vom Gott, der uns mit unseren Lasten trägt, und der weder schläft noch schlummert, sondern dafür sorgt, dass uns weder Sonne noch Mond blenden können. Apropos Mond: „Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost verlachen, weil unsere Augen sie nicht sehen.“

Guter wirksamer Trost hat viele Gesichter. Sie alle blicken uns freundlich an und machen unseren dunklen Alltag etwas heller. Aber! Über unsere Gegenwart reichen sie leider alle nicht hinaus.  Aller bisher genannte Trost lebt mit mir hier und jetzt. Wenn das Dunkle so dunkel wird, dass alles Licht verschluckt wird, wenn die bange Frage zu nagen beginnt, ob es wohl wahr ist, dass Gottes Wege weiter reichen als unsere je eigene Lebenszeit, ob seine Treue auch im Tod nicht abbricht, was gibt dann Halt im Leben und im Sterben? Wo sonst alles abreißt, alle Gespräche, alle Zuneigung, alle Bindungen, wo das eigene Glaubensmäntelchen zu kurz ist oder zu zerreißen droht, da tut es gut, wenn wir uns in den Mantel der alten Traditionen hüllen können. Dieser Mantel trägt sich nicht nur als „Haute Couture“ und singt von der Herrlichkeit und Schönheit Gottes. Nein! Herrlichkeit können alle Götter! Das ist nichts Besonderes. Aber unsere Glaubensmütter und Väter führen uns zum Kreuz, um hier im Antlitz des Gekreuzigten zu erkennen und zu bekennen: Gelobt sei unser Gott, dessen Heiligenschein seine Dornenkrone ist! Von diesem Glaubensmantel umhüllt finden wir keine Vertröstung, wohl aber den einzigen Trost, den nicht mal der Tod verschlucken kann. Wenn Jesus schreit: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, offenbart er uns gleich zweierlei:

Erstens, den Gott, den wir gerne hätten, den gibt es nicht! Der Gott, der unser Glück und alles Gelingen als Selbstverständlichkeit garantiert ist eine menschliche Erfindung. Der Gott, der im letzten Augenblick mit einem Fingerschnipp alles zum Guten wendet: eine Wunschvorstellung!

Und zweitens: Gott ist gerade da, wo er nicht ist! Mitten in aller Gottverlassenheit hängt er da und ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast DU mich verlassen?“ Unser perfekt inszeniertes Instagram-Leben ist Gott egal. Denn das sind wir doch gar nicht. Aber es ist ihm nicht egal, wenn unser Leben bricht, wenn wir nur noch schreien können. Dann schreit Gott mit uns. Er hat sich am Kreuz selbst verlassen, um in jeder Gottesferne an unserer Seite zu stehen, damit nie wieder ein Mensch schreien muss: „Warum hast Du mich verlassen?“  Darum ruft Gott das selbst, bis er stirbt. Und zwar richtig!

Aus, Ende, vorbei! Stein drauf und fertig! Seht her! So elend furchtbar und verstörend kann das Leben sein. Das spüren wir doch gerade alle. Das Christentum lächelt diese Lebensrealität nicht einfach weg, sondern versucht, Karfreitag und Karsamstag auszuhalten. Alle Vorstellungen vom Helden-Gott, von der Herrlichkeit und vom gelingenden Leben: hier in diesem Grab liegen sie begraben. Diese Zumutung ist kaum auszuhalten.“ Ein Ärgernis! Unglaublich!“, sagen viele. „Ein Toter am Kreuz als Hoffnungs-Zeichen für neues Leben!“ Der Verfluchte – ein Segen für alle! Der Gescheiterte ist der Geliebte. Das ist das Unglaubliche und Trotzige unseres Glaubens. Unser Gott ist kein „Gott light“, den man als „fastfood to go“ mal eben so nebenbei vernascht! Das sperrige und uns zugleich zugewandte Kreuz ist nahrhaftes Schwarzbrot und gibt ihm unerhörtes Gewicht!

Dieser Glaube ist wirklich verrückt, weil er ohne Triumphzug mit der Ohnmacht Gottes beginnt. Und einen ganzen Karsamstag dafür reserviert, diese Ohnmacht zwischen Kreuz und Auferstehung auszuhalten. Gott im unsagbarem Leid – ganz bei mir und allen, die verloren sind. Danach können wir, auch wenn wir uns bedroht und eingesperrt fühlen, dieses Jahr getrost Ostern feiern und uns erinnern: Wir Menschen sind unserem Gott wichtiger als sein eigenes Leben. Der Mann mit der Dornenkrone, der Gekreuzigte, der Gottverlassene, ER lebt! Nicht mal der Tod konnte etwas mit ihm anfangen. Er hat ihn nicht im Grab gehalten. Genauso unscheinbar wie er geboren wurde und am Kreuz sein Leben hingab, ist er auferstanden. Jetzt will er mit uns leben und erfahrbar werden als Körnchen Hoffnung, dass in uns wachsen will, damit wir Menschen „ihm forthin leben“ und vertrauen. So kann es geschehen, dass wir in seiner Nachfolge manchmal Sand im gut geschmierten Weltgetriebe werden.

Dieser Gedanke bleibt für morgen.